Gefahren durch Honigbienen?

Immer wieder ist aus Imkerkreisen zu hören und zu lesen, ohne Honigbienen sei die Bestäubung vieler Obstbäume und anderer Pflanzen gar nicht möglich, ohne sie seien Mindererträge und eine Verarmung der Flora und Fauna zu erwarten, denn 80%, im Frühjahr sogar 100% der Blüten würden durch Apis mellifera, wie die domestizierte Honigbiene wissenschaftlich heißt, bestäubt. Diese Leistung sei den großen Volksstärken – im Frühjahr bis zu 20.000, im Sommer bis zu 80.000 Individuen – sowie der sogenannten Blütenstetigkeit der Honigbiene zu verdanken.

Vielfalt statt Einfalt
Innerhalb der einheimischen Insektenfauna gibt es allein über 500 Wildbienenarten (weltweit über 20.000), die der Laie oft übersieht (Körpergröße) oder mit der Honigbiene verwechselt. Nach den oben zitierten Angaben der Imker müßten auf alle diese Arten folglich im Sommer nur ca. 20%, im Frühjahr gar um 0% der bestäubten Blüten entfallen. Ob die Natur einer einzigen Art so viel ökologische "Verantwortung" aufgebürdet hat?
    Nicht erwähnt wird dabei meist, daß in der Landwirtschaft auch andere Wildbienen gezielt und mit Erfolg eingesetzt werden – z. B. Hummeln, die ja auch zu den Bienen zählen, für Obstbäume und Klee. Sie wurden wegen ihres großen Nutzens sogar in anderen Erdteilen angesiedelt:

Hummeln fliegen bereits bei (2–)5° C (vor allem die kurzrüsseligen Arten), also früher am Morgen, später am Abend und vor allem früher im Jahr als Honigbienen, die erst bei ca. 12°C ausfliegen. Auch andere, kleinere Wildbienen besuchen die Blüten unserer Gärten vor den Honigbienen im kühlen Frühjahr. Die zitierte 100%-Behauptung erweist sich spätestens hier als Unsinn. Eine Hummel besucht die drei- bis fünffache Blütenzahl – auch solche Blüten, in die die kleineren und schwächeren Bienen nicht gelangen, da Hummeln meist stärker sind und oft auch einen längeren Saugrüssel haben – und sie transportiert viel mehr Nektar und Pollen zurück als eine Honigbiene. Einige Pflanzen werden fast ausschließlich von Hummeln bestäubt – z. B. Klee, Lupinen, Wicken, Erbsen und Bohnen –, und ohne sie würde die Obsternte in manchen Jahren sehr dürftig ausfallen.

Eingriff des Menschen
Ob Blütenstetigkeit aus ökonomischer Sicht ein Vorteil ist oder nicht: Es gibt Wildbienenarten, die sich auf eine einzige Blütenpflanzenart oder -gattung spezialisiert haben ("Oligolektie"), also ihr ganzes Leben lang das tun, was Imker bei ihren Hausinsekten so preisen. Gerade die Spezialisten aber können im Einzelfall durch die domestizierte Honigbiene gefährdet sein:

Der Mensch bedroht heute das Überleben der Wildbienen vielfach: durch die Zerstörung ihrer Niststätten, die Vernichtung oder Verminderung ihrer Nahrungspflanzen ("Unkräuter", "Ödland"), durch Chemie und selbst durch den Straßenverkehr. Gleichzeitig fördert der Imker bewußt und einseitig seine Bienenvölker – er baut ihnen ihre Nistkästen, bekämpft ihre Krankheiten, füttert sie zusätzlich und regelt ihre Fortpflanzung. Das ist ökonomisch durchaus verständlich, denn so werden Volksstärken erreicht, die unter natürlichen Bedingungen unmöglich wären, und die rentable Dichte der vielen Völker ist zumindest bei Berufsimkern ebenfalls unnatürlich hoch. Wenn solche Imkerei dann auch noch im großen (um nicht zu sagen "amerikanischen") Maßstab betrieben wird, sind lokale ökologischen Folgeschäden nicht ausgeschlossen:

Selbst die großen Hummeln müssen im Wirkungsbereich einer Großimkerei vor der Massenkonkurrenz der Honigbiene zurückweichen, was sowohl ihre Individuenzahl als auch Völkerzahl massiv begrenzt. Wenn eine oligolektische Wildbienenart auf eine Trachtpflanze spezialisiert ist, die auch für Honigbienen zugänglich sind, verliert sie durch deren Ansturm ihre Nahrungsquelle und stirbt lokal aus — und dies selbst dann, wenn die sogenannte Haupttracht der Honigbienen gerade eine andere ist: Relativ (!) wenige Flugbienen an Nebentrachten erreichen dort bereits eine Dezimierung ihrer wildlebenden Verwandtschaft. Umgekehrt können solche Eingriffe in eingespielte Lebensgemeinschaften natürlich auch zum Verschwinden seltener, spezialisierter Wildkräuter führen, etwa wenn der Imker mit seinen Völkern wandert, seine domestizierten "Ersatzbienen" also plötzlich ausfallen.

Angesichts solcher Erkenntnisse, wie sie in dem Standardwerk von Paul Westrich, Die Wildbienen Baden-Württembergs, zusammengefaßt werden, erscheinen die Behauptungen der Imker wenig plausibel: Eine angeblich 100%ige Bestäubung durch Honigbienen in einem Bezirk setzt logischerweise eine 100%ige Verdrängung der Wildbienen dort voraus. Wie jede übermäßige Nutzung der Natur durch den Menschen stellt auch die Berufsimkerei ein ökologisches Risiko dar, wenn sie keine Grenzen kennt; das beweist sich schon in der Tatsache, daß die wilde Honigbiene eines der ersten Tiere war, die der Mensch in Europa ausgerottet hat. Naturnutzung aber sollte nicht noch durch Umweltpreise honoriert werden – genau dies ist 1990 jedoch in Solingen (NRW) geschehen.

Als Naturschützer sollten wir uns mehr mit Biologie, Nutzen und Gefährdung der Wildbienen befassen und darüber aufklären. Wir sollten sie bei allen praktischen Maßnahmen berücksichtigen, geeignete Nahrungsflächen und Niststätten gezielt schützen oder auch künstliche herstellen (Nistblöcke, Wildpflanzen). Wenn bei der Anpflanzung von Trachtpflanzen oder der "bienenfreundlichen" Verwendung von Bioziden die Honigbiene als Wirtschaftsfaktor berücksichtigt wird, sollten wir uns für die Berücksichtigung auch der vielen Wildbienen einsetzen — und wir sollten die Imkerei aus den viel zu wenigen und zu kleinen Naturschutzgebieten herauszuhalten versuchen, damit diese ihre Funktion als Rettungsinseln überhaupt noch wahrnehmen können.

Klein-Imkerei
Das Gesagte gilt natürlich nicht für die Hobby-Imkerei oder eine andere maßvolle (neben- oder kleingewerbliche) Imkerei: Ein paar Bienenstöcke ersetzen lokal ja nur die wildlebenden Honigbienen-Völker früherer Zeiten, und im Biogarten einer Schule stellt er ein hervorragendes Anschauungsobjekt dar für Verhaltensforschung im Biologieunterricht! Ökologisch schädlich kann die Honigbiene erst dann werden, wenn sie im Übermaß, also massenhaft konzentriert in vielfach höherer Kopfzahl auftritt, als dies ohne Hilfe des Imkers möglich wäre. Auch hier kann also (wie in der Viehzucht) Massentierhaltung zum Problem werden, und auch hier weist eine verantwortungsbewußte, naturverträgliche Landwirtschaft den richtigen Weg.


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